Zwei Jahre Begegnungen mit dunya
Ein Blick zurück
Was möchte ich in die Welt bringen?
Ideen für “ein eigenes Projekt” habe ich schon seit vielen Jahren. Sie geisterten lange als Ideenschnipsel, als Zauberwörter, als Gedankenkonfetti in meinem Kopf herum. Sie wirklich in Form zu gießen und daraus das Begegnungsprojekt “dunya” zu gestalten, hat aber gedauert… und letztlich hat es für mich eine große Entschleunigung gebraucht, um mich intensiv damit auseinanderzusetzen. Die kam für mich 2020, sehr unverhofft, mit den ersten Corona-Lockdowns. Was will ich eigentlich in die Welt bringen? Was soll dieses “eigene Projekt” sein? Was treibt mich an? Ich habe mir viele Fragen gestellt und war mit diesen beim Lehrgang zur Potentialentfaltung „Be.Come“ bei den großartigen Pioneers of Change sehr gut aufgehoben. Ich habe viele und viele wilde Plakate gezeichnet, Freund*innen nach meinen Stärken und Talenten gefragt („Gabeninterviews“) und ständig neue Ideen ausgespuckt. Wenn ich heute diese Visualisierungen und Notizen durchsehe, macht alles Sinn. „Menschen zusammenbringen“, steht da. „Brücken bauen“, „soziale Horizonte“, „Lebenswelten verknüpfen“, „Wandern“ und immer wieder, in den verschiedensten Farben mein persönliches Zauberwort: BEGEGNUNG.
Der Wunsch, Begegnungen zu schaffen ist auch jetzt, mehr als zwei Jahre nach den allerersten Wanderungen mit dunya, das, was mich am meisten begeistert und mich am stärksten antreibt.
Dreiundzwanzig Mal
Ich blicke auf mittlerweile dreiundzwanzig dunya-Wanderungen in und um Wien zurück. (1)
Wie gut kann ich mich an die allererste erinnern, bei der ich nicht wahnsinnig gut geplant habe, zutiefst nervös am Bahnsteig gestanden bin und letztlich nur zwei Personen mitgegangen sind! Aber sie war ein so wichtiger Schritt, das weiß ich heute. Im Laufe der Beschäftigung mit meinen eigenen Ideen habe ich verstanden, dass so viele Menschen großartige Ideen haben, die sie wälzen und durchdenken. Das Rausgehen, das Sichtbarwerden der eigenen Ideen gelingt aber nicht allen. Zu verletzbar, zu schwierig, zu unmöglich erscheint es. Deshalb weiß ich heute, dass diese allererste Wanderung mit den zwei Personen ein echter Meilenstein für mich war. Ich habe mich und meine Idee gezeigt. Das war aufregend und schön zugleich.
Regelmäßig aufzubrechen war in den ersten Covid-Jahren nicht möglich. Immer dann, wenn sich gerade eine schöne Kerngruppe beim Wandern gebildet hatte, schickten die Covid-Regelungen mich und dunya wieder in eine Zwangspause. Es war spürbar, dass nach den Lockdown-Phasen die Lust der Menschen auf das Draußensein, auf Begegnungen und auf Austausch ungebrochen groß war. Insofern ging es immer weiter mit dunya und wir gingen immer weiter und weiter …
Das große “Warum?”
Ganz ehrlich: Die Vorbereitung und Organisation der Wanderungen bedeutet viel Arbeit. Ich entscheide mich aus unzähligen Tourenideen für die nächste Wanderung, gehe die Tour ab, schreibe sie aus, manchmal alleine, manchmal mit Kooperationspartner*innen. Dann folgt: Kalender auf der Webseite aktualisieren, Postings auf Social Media veröffentlichen, Tourenbeschreibung auf Englisch übersetzen, Ticketpreise recherchieren, umdisponieren, Anmeldungen trudeln auf drei verschiedenen Kanälen ein. Am Tag der Wanderung sagen spontan immer noch Menschen ab, und andere kommen zu mehrt („Ach ja, ich habe spontan noch meine*n Freund*in mitgebracht, passt das eh?“). Ich bin jedes Mal nervös vorm Start der Tour und jedes Mal erleichtert, wenn ich bei der Begrüßungsrunde in offene, neugierige Gesichter blicke. Sobald wir gehen, wird es in mir ruhiger und ich kann mich auf die Menschen und ihre Geschichten konzentrieren.
Da auch in meinem Leben die Tage immer zu kurz scheinen, stelle ich mir natürlich immer wieder die Frage: „Warum tust du dir das an? Warum organisierst du in deiner Freizeit und am Wochenende, wo du auch mal nichts tun könntest, auch noch Wanderungen?“
Geschichten, die dunya schreibt
In diesen Momenten erinnere ich mich an mein ursprüngliches Ziel von dunya, nämlich: Menschen aus verschiedenen Lebenswelten in Verbindung zu bringen. Menschen, die einander ohne meine Wanderungen vielleicht nie kennengelernt hatten. Und dann fallen mir so viele schöne Momente ein, wo das genau so passiert ist.
Eine der ersten Wanderungen, Bahnhof Meidling. Ein syrischer Teilnehmer, nennen wir ihn Rami, steht neben mir, wir warten auf den Rest der Gruppe. Da kommt schon ein weiterer Teilnehmer an, er ist aus Tirol und erst seit kurzem in Wien. „Servus!“, die beiden begrüßen sich mit Handschlag. „Na, wie war die Prüfung?“ Ich blicke ganz verwirrt von einem zum anderen: „Kennt ihr euch schon länger?“ Sie lachen: „Nein, erst seit der letzten Wanderung mit dir. Dann haben wir uns ein paar Mal getroffen, wegen der Prüfungsvorbereitung. Wir studieren ja dasselbe.“ Ich hätte in diesem Moment vor Glück weinen können. Genau das hatte ich mir gewünscht.
Bei einer anderen Tour sind wir in der Lobau. Zwei Teilnehmerinnen unterhalten sich lange, die eine Volksschullehrerin in dem Bezirk, in dem die andere wohnt. Sie tauschen Telefonnummern aus. Die zweite Teilnehmerin, neue Wienerin aus Syrien, freut sich: „Jetzt habe ich endlich Tipps bekommen, in welcher Schule ich meine Tochter anmelden kann.“ Der Pädagogin geht es genauso: „Ich freue mich immer über Familien, die sich so viel Gedanken um die Schulwahl und den Bildungsweg ihrer Kinder machen. Vor allem, wenn es Familien sind, die noch gar nicht lange in Österreich leben und das System hier ja noch gar nicht so gut kennen.“ Freude!
Dann gibt es auch die Menschen, die ganz oft mitkommen. Die Austausch und Anschluss suchen, deren Freund*innen nicht gerne wandern gehen, die einfach die Gesellschaft der dunya-Gruppe schätzen, die ihr Deutsch verbessern wollen oder schlichtweg große Fans von Begegnungen mit neuen Menschen sind. Ein junger Mann aus Syrien, nennen wir ihn Salim, ist einer der treuen Seelen. Als wir uns kennenlernen, probiert er grad seine ersten Sätze auf Deutsch aus. Da es in der Wandergruppe fast immer auch Arabisch sprechende Menschen gibt, fühlt er sich trotzdem sehr wohl und geht regelmäßig mit. Nicht nur das, er bringt auch immer Kaffee für alle mit und initiiert eine gemeinsame Kaffeepause. Nach einer der Touren schreibt er mir eine WhatsApp: „Ich bin dankbar, dass es dich gibt.“ Vor einigen Wochen hat Salim die B1-Prüfung bestanden.
Manchmal sind es auch ganz kleine Geschichten. Eine Teilnehmerin, sagen wir Marlies, kommt aus Wien und möchte gerne mehr Sport machen. Sie kann sich aber alleine kaum aufraffen und hat nicht viele gleichgesinnte Freund*innen um sich. So kommt sie oft mit dunya mit, geht ins Gespräch und fühlt sich sichtlich wohl. Bei einer schönen Frühlingswanderung im Wienerwald trifft sie auf eine der neuen Wienerinnen, Loreta, die in einer Schwimmgruppe ist und regelmäßig schwimmen geht. Als Loreta Marlies in ihre Gruppe einlädt, ist dieser die Freude im Gesicht abzulesen.
Nicht nur “neue Wienerinnen”, sondern auch “neue Freundinnen”
Einige der Teilnehmer*innen sind mittlerweile echte Freund*innen geworden. Das hatte ich so gar nicht eingeplant bei meiner Visionssuche. Diese Freundschaften sind ein echtes Geschenk und ich habe gemerkt, dass ich nicht nur Austausch und Begegnung schaffen wollte, sondern mich selbst auch nach „neuen Menschen“, neuen Kontakten und Begegnungen außerhalb meiner „bubble“ gesehnt habe. Dass zwei dieser neuen Freund*innen nun auf meine nächste große Wanderreise nach Palästina (2) mitfahren, freut mich deshalb ungemein.
Natürlich gibt es auch Touren, bei denen das Wetter nicht mitspielt (immer noch denke ich da an eine absolut verregnete Tour mit einer kleinen Gruppe zur Gföhlberghütte zurück. Obwohl der Regen einfach nicht nachließ, ließ sich niemand die Motivation oder gute Laune nehmen. Hut ab!). Es gibt Touren, bei denen ich mir im Nachhinein denke, dass ich den Weg anders hätte planen sollen. Touren mit zu wenig Schattenplätzen im August sind einfach nicht so super. Die eine legendäre Wanderung, bei der die (wirklich sehr lange!) Schlange am Donaualtarm Greifenstein nur wenige Zentimeter neben unserer Picknickdecke vorbeigekrochen ist und uns richtig erschreckt hat. Die dunya-Zweitagestour, die wegen des Wetters oder fieser Knieprobleme meinerseits schon zweimal abgesagt werden musste. Hütten oder Aussichtswarten sind manchmal doch geschlossen, ab und zu fährt uns der Bus vor der Nase davon und ja, manchmal gibt es auch einfach Grippewellen und die Gruppe ist nur halb so groß wie geplant.
Zauberwort Begegnung
Aber was aus meiner Sicht wirklich immer funktioniert, ist die BEGEGNUNG. Wenn ich weiter vorne gehe und mich umdrehe und auf diese Menschen blicke, die im Gespräch sind, die einander zuhören, Fragen stellen und zusammen lachen, dann bin ich wirklich glückserfüllt. Wenn wir irgendwo auf einer Wiese Pause machen und einfach immer und ganz ungeplant, die Keksschachteln, die Salate und die Kaffees mit der größten Selbstverständlichkeit herumgereicht und miteinander geteilt werden, möchte ich nirgendwo anders sein. Wenn ich nach einer dunya-Wanderung zuhause ankomme und meinen Rucksack auspacke und müde bin, dann kann ich mir fast sicher sein, dass Nachrichten eintrudeln und sich Menschen für die besonders schöne Tour oder die „wie immer tolle Wanderung“ bedanken. Oder mein Mann sagt: „Heute war es aber wirklich eine besonders schöne Wanderung!“ (Das sagt er fast immer, aber so nachdrücklich, wie er es formuliert, glaube ich ihm seine Begeisterung auch stets.)
Dann habe ich ein sicheres Gefühl, mit dunya ein wertvolles Projekt geschaffen und etwas Gutes in die Welt gebracht zu haben - und zücke die Wanderkarte, um die nächste Tour für „dunya – Begegnung in Bewegung“ zu planen.
Kommst du nächstes Mal auch mit?
Weitere Infos
(1) Wer sehen möchte, wohin uns diese dreiundzwanzig Touren geführt haben, kann den "Kalender der Begegnungen” befragen. Dort finden sich übrigens auch alle neuen Touren für Frühling und Sommer 2023.
(2) Meine Eindrücke von meiner allerersten Palästina-Wanderreise mit dem Reiseveranstalter Alsharq habe ich in diesem Blogbeitrag zu “Papier” gebracht: “Palästina mit eigenen Augen sehen”