Warum ich Erzurum (dann doch wieder) mag.
Ich habe im Sommer immer wieder mit Erzurum gehadert. Mein mir vertraut gewordenes Erzurum stellt mich mit seinen ungeschriebenen Kleidungsvorschriften, den Blicken der Menschen, wenn irgendetwas “anders” aussieht und manch andere Dinge immer wieder vor Herausforderungen. Gerade im Sommer war es nicht immer ganz einfach mit dieser Sonderbarkeit zurechtzukommen.
Jetzt im Winter ist vieles einfacher. Die Kleidungsfrage erübrigt sich schlichtweg, weil ich genauso eingemummt wie alle anderen bin und man von den meisten Vorübergehenden ohnehin nur die Augen und maximal die Wangen sieht.
In meinen ersten Wintertagen hier hat sich die Stadt wieder von einer sehr netten Seite gezeigt.
Das Wetter ist ein Traum: Die Landschaft ringsum mit ihren Dreitausendern ist eigentlich im Winter am allerschönsten. Weiß und weiß, soweit das Auge reicht. Die Berge sind so mächtig und jedes Jahr kommt mir vor, als würden sie näher an die Stadt heranrücken und nach ihr greifen. Oder sie zärtlich umschlingen, je nachdem. Auf jeden Fall ist der Blick von meinem Lieblingsaussichtsplatz bei der Burg besonders jetzt, im klirrenden Dezember, einfach prächtig.
Die Menschen. Ja, es sind natürlich wieder die Menschen, die es mir hier schön machen. Hier ein paar kleine Auszüge der Dialoge in den ersten Tagen:
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Stunde 1 in Erzurum. Im Bus. Ich bin etwas unbeholfen mit meinem Gepäck und keinem türkischen Handy und frage den Busfahrer um Rat. Er hilft mir sehr aufmerksam weiter. Als ich ein zweites Mal frage, sieht er mich länger an, zögert, und meint dann ganz vorsichtig: “Sie sind nicht von hier, oder?” - Ich: “Nein, das bin ich nicht.” - Er: “… Sie sind auch keine Türkin, oder?” - Ich: “Nein, auch das bin ich nicht.” - Schweigen, Pause. - “Dann, aus welchem Land kommen Sie denn?” (Das ganze Gespräch lief so respektvoll und höflich ab, dass ich fast schon schmunzeln musste.)
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Heute, in einem Geschäft im Einkaufszentrum. Ich weiß ein Wort nicht und zeige dem Verkäufer, was ich meine. Er ist zunächst verwirrt, versteht mich dann aber und bedient mich freundlich, außerdem erklärt er mir das türkische Wort, das mir fehlt. Er erledigt meine Bitte, nennt mir den Betrag, immer noch hat er nichts gefragt, obwohl ich es ihm ansehen kann, dass er grübelt, woher ich wohl komme. Dann, endlich, kurz vor dem Zahlen, meint er - lächelnd und entschuldigend: “Bitte, verstehen Sie mich jetzt nicht falsch, aber dürfte ich fragen, woher Sie kommen?” (Ich bin selten in irgendeinem anderen Land so behutsam nach meiner Herkunft gefragt worden wie hier.)
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Ein urkomischer Nachmittag im Büro eines Germanistikprofessors an der Atatürk Universität in Erzurum, an der ich meine Forschung durchführe. Immer wieder kommen Professoren herein, heißen mich willkommen, setzen sich und trinken einen Tee mit uns. Wann auch immer ich mein leeres Glas zur Seite schieben will, sehe ich, dass schon wieder ein volles vor mir steht. Im Switch sprechen wir Türkisch und Deutsch mit 2 Professoren, die in Deutschland aufgewachsen sind. Dann kommt einer der wenigen Romanistik-Professoren herein, meint “Sarah! Schön, Sie wiederzusehen. Ich brauche Übung, sehr gut, bitte sprechen wir auf Französisch.” und es geht auf Französisch weiter. Es dreht sich wieder mal ums Sprachenlernen und unter anderem um meine Sprachen. Bevor der nächste Professor, der mich noch nicht kennt, hereinkommen kann, ruft ihm der Germanistikprof schon entgegen: “Sechs oder gar sieben Sprachen kann sie!”